»Ein Volk wie ein Löwe« – neue Zeitrechnung

eingetragen in: Israel, Meldungen, Mitarbeiterberichte

14. Juni 2025

Tag 617 – Zeitrechnung Krieg »Eiserne Schwerter«

Tag 2 – Zeitrechnung »Ein Volk wie ein Löwe«

Michelle berichtet aus Maalot:

Nachts um drei ertönt ein Alarm. Im Halbschlaf finde ich mich mit Handy im Bad wieder. Dieser Weg ist auch nach über einem halben Jahr Ruhe immer noch konditioniert. Aber etwas ist anders. Der Alarm dauert gefühlt eine halbe Ewigkeit und auf der Handy-Warn-App kommt nichts. Also was ist los? Nach einiger Zeit der Ungewissheit kommen endlich die ersten Infos. Nicht wir werden angegriffen, sondern der Iran von Israel. Aber da man mit einer intensiven Gegenaktion seitens des Iran rechnet, wurde vorsorglich das ganze Land geweckt und in Alarmzustand versetzt.

Was bedeutet das für uns? Am 13.12.2024, also vor genau sechs Monaten, sind wir mit den Bewohnern aus dem Pflegebunker ausgezogen. Und am 13.06.2025 steht fest: wir müssen wieder zurück in den Bunker. Kurz nach drei Uhr kommen die ersten Mitarbeiter auf Station und wir starten mit der nächtlichen Evakuierung. Innerhalb kurzer Zeit sind alle Heimbewohner mit ihren Betten im Bunker angekommen. Der ganze Hausstand, Rollstühle, Kleider usw. folgen nach. Der Fahrstuhl läuft im Dauerbetrieb und eine Stunde später ist alles vorbei und Ruhe im Bunker eingekehrt.

Man merkt, dass jeder weiß, was seine Aufgabe ist, dass die meisten der Mitarbeiter und Heimbewohner bereits »Bunker-erfahren« sind. Wir scherzen, Zedakah hätte eine bessere Reaktionsgeschwindigkeit als der Iran.

Wie geht es unseren Heimbewohnern mit der Situation? Die meisten haben den Umzug verschlafen, einige wussten überhaupt nichts mit der Situation anzufangen und brauchten einige Zeit, um zu verstehen, wo wir jetzt sind und warum. Am Morgen meinte eine Frau, sie habe geträumt, dass sie in den Bunker müsste. Leider ist es kein Traum.

Und während wir gemeinsam der Dinge harren, die da kommen, freuen wir uns über die Kleinigkeiten, die wir damals am Anfang der ersten Bunkerzeit noch nicht hatten. Es gibt eine Klimaanlage, eine ebenerdige Dusche und viele Kleinigkeiten, die den Bunkeralltag erleichtern. Es fühlt sich fast ein bisschen wie »nach Hause kommen« an. Auch der Erew Schabbat im Bunkergang ist trotz allem eine schöne Feier.

Immer wieder kommen Warnsirenen und auch die Nachrichten laufen fast immer irgendwo im Hintergrund. Da wir diesmal mit größeren Geschossen konfrontiert sind, haben wir generell weniger Freiheit als beim letzten Mal. Das heißt für uns, dass nicht nur die Heimbewohner, sondern auch die Mitarbeiter im Bunker sein müssen und sich auch nur dort und auf Ebene 2 aufhalten dürfen. Nach der ersten Nacht sind wir auch sehr dankbar dafür, dass wir Bunkerräume haben, in denen wir ruhig schlafen können und die mit allen wichtigen Dingen ausgestattet sind. Etwas, was nicht selbstverständlich ist.

Während wir in »Ruhe und Frieden« schlafen, werden gerade Häuser bombardiert, Menschen verletzt, Land zerstört. Menschen sterben, Soldaten kämpfen und die Verantwortlichen müssen schwerwiegende Entscheidungen treffen. Und über all dem wacht Gott. Die ersten internen Wetten, wie lange wir im Bunker bleiben, sind schon am Laufen. Aber egal, wie es weitergeht, wir dürfen wissen, dass wir unter dem Schirm Gottes sind und er alles gut macht zu seiner Zeit.

Judith berichtet:

Auch in Shavei Zion sind wir seit 3:00 am 13. Juni wieder in Alarmbereitschaft. Schon drei Stunden nach dem landesweiten Wecker ist ein Großteil der Zimmer im Gästehaus wieder für Familien aus der Nachbarschaft reserviert, die teilweise schon direkt nach dem Alarm zu uns gekommen waren.

Um 9:00 melden sich die Dorfverantwortlichen und fragen, ob wir bereit sind, unseren Speisesaal als »Aufenthaltsort« zur Verfügung zu stellen – für Menschen, die keinen eigenen Schutzraum haben und zwischen Vor- und eigentlichem Alarm einen Platz in Bunkernähe brauchen.

(Zur Erklärung: Im Unterschied zu Raketen und Drohnen aus dem Libanon und dem Gazastreifen gibt es für Geschosse aus dem Jemen und Iran, die eine weitere Strecke zurücklegen müssen, längere Vorwarnzeiten. Diese liegen zwischen 10 Minuten und 9 Stunden.)

Gerne sagen wir zu. Auch als Mitarbeiter und Touristen, die aufgrund der Sicherheitslage nicht zurückfliegen bzw. weiterreisen konnten, haben wir wieder Gästezimmer bezogen und sind dadurch bei Alarm zügig im Schutzraum, ohne dort schlafen zu müssen. Wieder einmal sind wir dankbar für diesen Luxus. Viele Israelis müssen dicht gedrängt in öffentlichen Bunkern oder Treppenhäusern Schutz suchen.

Besonders dankbar sind wir auch, dass beim großen Gegenschlag aus dem Iran in der letzten Nacht keine Raketen oder Raketenteile in unserer Gegend abgestürzt sind und wir nach der jeweiligen Entwarnung immer wieder schlafen gehen konnten.

Im Lauf des Vormittags begegnete uns die Mutter einer Familie, die mit ihrer Tochter bei uns geschlafen hatte. Da wir sie nachts nicht erreichen konnten, dachten wir, sie seien schlussendlich doch nicht bei uns gewesen. Morgens stellte sich heraus, dass sie alle Alarme verschlafen hatten …

Sie konnte selber nicht fassen, dass sie so tief geschlafen hatte.

Von ganzem Herzen sprach sie ihren Dank für diese Möglichkeit der Notunterkunft aus. Mit Tränen in den Augen reagierte sie, als wir ihr sagten, genau dafür seien wir hier. Weiter wiesen wir auf die viele Menschen in Deutschland hin, die mit Gebet und Spenden hinter uns stehen und so diese Arbeit ermöglichen.

Im Sinne von Matth. 25, 31 ff. möchten wir weiter in aller Treue:

  • den Durstigen Wasser geben, den Hungrigen Brot,
  • denen, die eine Unterkunft brauchen, ein Zimmer,
  • denen, die hoffnungslos sind, ein offenes Ohr und Worte der Hoffnung, die uns erfüllt.

Denn:

»Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan«.

Herzlichen Dank an alle, die ihr uns auch an Tag 617 bzw. Tag 2 weiter unterstützt.

Bitte denkt im Gebet auch während der aktuellen Entwicklungen weiter an die 53 Entführten, die noch immer in den Händen der Hamas sind.