Bewahrung unter Beschuss

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David Giesbrecht ist seit einem Jahr als Volontär in Maalot tätig. In diesem Beitrag gibt er Einblick, wie er die Zeit der Eskalation an der Nordgrenze erlebte (von etwa September bis Dezember 2024). Dies ist der erste von zwei Beiträgen von David, der andere ist überschrieben mit: »Folge mir!«

Shalom. Seit meinem letzten Rundbrief sind einige schöne, aber auch ein paar herausfordernde Wochen vorbeigezogen. Denn unter Beschuss und auf engem Raum im Bunker zu arbeiten, ist nicht immer einfach.

Ich beginne mal mit dem, was mein Leben hier aktuell am meisten beeinflusst: Das Offensichtliche, was auch nach acht Monaten Aufenthalts immer noch nicht vorüber ist: der Krieg. Während ich bei meinem letzten Rundbrief noch schreiben konnte, dass es Tage gibt, an denen man vergessen kann, dass wir uns im Krieg befinden, ist dies aktuell nicht mehr wirklich möglich. Täglich wird es uns vor Augen und Ohren geführt.

Ich erinnere mich noch sehr gut an das Vorstellungsgespräch in Deutschland, wo ich am Ende darauf hingewiesen wurde, dass der Norden Israels jederzeit hochgehen kann und die Hisbollah (die Terrororganisation im Libanon) enorm viele Raketen an der Grenze gehortet hat. Damals klang alles noch so weit weg und unrealistisch, sodass ich niemals geahnt hätte, mich jetzt genau in dieser Situation zu befinden.

Nach dem zweiten großen Raketenangriff des Iran am 1. Oktober, der zudem der zweite Angriff überhaupt direkt vom Iran auf Israel war, ging es erst richtig los. Zuvor hatten wir zwar schon immer wieder Beschuss aus dem Libanon und auch hin und wieder Alarm bei uns, doch auf Dauer kann man nicht eine so große Region mit tausenden Binnenflüchtlingen evakuiert lassen. Und so reagierte die israelische Regierung vor ein paar Tagen mit dem Truppeneinmarsch ins libanesische Gebiet.

Seither haben wir nun noch intensiveren Beschuss und auch bei uns immer wieder Alarm. Manchmal sogar mehrfach am Tag. Dabei bleibt unser Ort im Verhältnis noch relativ bewahrt. Es ist manchmal unglaublich, wenn man sieht, dass die Orte um uns herum beschossen werden und manche von ihnen gefühlt keinen Tag Ruhe haben, während es bei uns auch regelmäßige »Alarm-Ruhetage« gibt.

Nichtsdestotrotz können wir hier bei uns jeden Tag Raketen, Kampfhubschrauber, Drohnen und Abwehrschüsse des Iron Dome hören. Oft spüren wir auch leicht die Druckwellen oder sehen sie zumindest an den Fenstern. Als vor ein paar Tagen dann auch die ersten Raketen in unserer eigenen Ortschaft einschlugen, ist alles noch viel reeller geworden und wir sind Gott dankbar für jede Bewahrung bei Angriffen, die auch uns hätten treffen können.

Dennoch werden es auch bei uns immer mehr Alarme, sodass ich schon seit längerem aufgehört habe, mitzuzählen, und wir fragen uns nur, wie lange es in diesem Zustand noch weitergehen wird.

Vor einigen Wochen waren wir auf einer Bibelfreizeit etwas weiter im Landesinneren und konnten ein paar Tage vom Lärm und der Arbeit entspannen. Es war ungewohnt, wieder einen so ruhigen Himmel über mir zu haben, und es fiel mir auf, dass ich bei jedem dumpfen Knall direkt an Raketen dachte, obwohl es eigentlich etwas ganz Gewöhnliches war, wie zum Beispiel eine zuknallende Tür.

Doch wieder einmal beweist Gott auch seine Größe durch diesen Konflikt: Der Schaden der Angriffe, der verglichen mit ihrem Potenzial enorm niedrig ist, wäre niemals so gravierend unterschiedlich, wenn nicht Gott seine Hand hier im Spiel hätte. Ich sehe es immer wieder und höre, je länger ich hier bin, von immer neuen Wundern, die in der Geschichte dieses Landes aufgetreten sind und auch aktuell geschehen. Man könnte behaupten, dieses Land besteht nur aus einer Aneinanderreihung von Wundern, wenn man die Vergangenheit und die unzähligen Hindernisse oder Angriffe gegen Israel betrachtet.

In der Arbeit mit den Holocaust-überlebenden Heimbewohnern durfte ich auch Fortschritte machen, und so kann ich mich mittlerweile, wenn auch nur brüchig, schon zum Teil auf Hebräisch mit ihnen unterhalten. Es macht mir wirklich Freude, wenn ich nun Ausschnitte aus hebräischen Gesprächen bei Ausflügen oder beim Einkaufen verstehen kann. Notfalls kann ich aber immer noch auf die anderen Sprachen wie Englisch, Jiddisch oder Deutsch zurückgreifen.

Es ist wirklich schön zu sehen, wie die Liebe zum Volk hier im Werk ganz aktiv ausgelebt wird. Ich bin dabei auch immer wieder beeindruckt von der Hingabe und dem Einsatz der Langzeitmitarbeiter, die ihr Leben auf eine so intensive Art und Weise voll in den Dienst des Herrn gestellt haben! Umso mehr sorge ich mich um die nächsten Monate, wenn der aktuelle Jahrgang an Mitarbeitern allmählich wieder nach Deutschland reist, aber wegen des Krieges (was ja auch irgendwie nachvollziehbar ist) viel zu wenig neue Mitarbeiter kommen.

Doch das Volk Israel und auch das Werk Zedakah brauchen gerade in der aktuellen Situation Menschen, die es unterstützen. Auch wenn ich nicht genau weiß, warum der Herr mich ausgerechnet jetzt im Krieg hier in Israel haben wollte, so sehe ich auch, dass jeder Mitarbeiter hier dringend benötigt wird, und bin Gott dankbar für diese einmaligen Erfahrungen, die ich machen darf. Ich bin mir sicher, dass auch die anderen Mitarbeiter bestätigen können, was wir immer wieder erleben: Der Vers aus 2. Korinther 12,9 wird wirklich spürbar, wenn man durch die enge Arbeit im Bunker, den Mitarbeitermangel und den alltäglichen Stress an seine Grenzen stößt: »Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.« – In Momenten, in denen man selbst nicht weiter kann, gibt Gott einem die Kraft und das Gelingen.

Während meine Bewegungsfreiheit im Land nun seit Anfang Oktober wegen der vermehrten Angriffe eingeschränkt ist, bin ich Gott sehr dankbar für das, was ich in den Monaten davor erleben und sehen durfte. Solange es noch möglich war, genoss ich bei jeder Gelegenheit die nahen Strände und das warme Wetter. Ich weiß jetzt schon, dass ich das israelische Wetter sehr vermissen werde, sobald ich wieder in Deutschland bin. (Während ich diese Sätze Mitte Oktober schreibe, kann ich bei fast 30 Grad auf meinem Balkon in der Sonne sitzen.)

Desweiteren konnte ich die wunderschöne Natur Israels in den letzten Monaten am See Genezareth, in der Umgebung oder bei Wadi-Wanderungen kennenlernen (Ein Wadi ist ein Bach-Tal). Auch sehr besonders finde ich das Besuchen von Orten hier in Israel, deren Geschichte ich danach in der Bibel lesen kann. Beispielsweise waren wir vor einiger Zeit in der Stadt Kapernaum am Norden des See Genezareth. Am Ufer haben wir uns dann als Gruppe hingesetzt und gemeinsam Matthäus 11 gelesen. Ein weiterer sehr eindrücklicher Moment war auch, als ich mit ein paar Leuten in Nazareth war und wir dort von einem Hügel aus die Jesreelebene sahen. Mit dem Hintergedanken der Vorhersage aus Offenbarung 14 und 16 war das sehr wirkungsvoll.

Neben solchen Erlebnissen fanden in den letzten Monaten aber auch einige jüdische Feste statt, die wir gemeinsam mit den Heimbewohnern und deren Angehörigen gefeiert haben. Beispielsweise vor ein paar Tagen erst »Rosch HaSchana«, der Neujahrestag im jüdischen Kalender. Kurz darauf dann »Jom Kippur«, wo gefastet und nicht gearbeitet wird. An diesem Tag fuhren keine Busse, Züge und sogar der Flughafen wurde geschlossen. Und wenn man den Gedanken dieses Feiertages bedenkt (Versöhnungstag), ist es nochmal mehr beeindruckend, dass dafür fast das gesamte Land zum Stillstand kommt. In keinem anderen Land ist Gottes Präsenz so deutlich in die Gesetze und ins tägliche Leben eingebaut.

Seit der Abfassung des Rundbriefs hat sich bis heute (März 2025) einiges verändert: Nach verschiedenen Absprachen und Vereinbarungen wurde der Raketenbeschuss aus dem Libanon Ende November eingestellt. Auch wenn die Lage noch nicht völlig entspannt ist, ist es für uns doch bedeutend ruhiger geworden. Ende Dezember war es daher auch möglich, die Heimbewohner aus dem Bunker wieder auf der Normalstation unterzubringen. Auch Ausflüge sind wieder uneingeschränkt möglich. Dafür sind wir sehr dankbar.

Wir beten um bleibende Ruhe, weitere Bewerbungen und Freilassung der immer noch 59 israelischen Geiseln.