Zerbrechliche Verschnaufpause

eingetragen in: Israel, Meldungen, Mitarbeiterberichte

Vor einem Jahr erschien an dieser Stelle ein Beitrag zu 100 Tagen Krieg und dem Aufruf zum Gebet für 136 israelische Entführte in den Händen der Hamas.

Heute, am 14.1.2025, ist der damals unvorstellbare 464. Kriegstag und was noch weniger vorstellbar gewesen war: Noch immer sind 98 Menschen, von denen einige mittlerweile nicht mehr am Leben sind, in Geiselhaft der Hamas-Terroristen.
Wie es ihnen wohl gehen mag? Propagandavideos der Hamas lassen das Schlimmste vermuten, die Angehörigen und Freunde leben seit 464 Tagen zwischen Hoffnung und Verzweiflung, Zuversicht und Enttäuschung.

464 Tage – Tage der Veränderung, der Ungewissheit und Ermutigung, Trauer und Trost auch in unseren Häusern. Von 0 auf 100 in den Kriegsmodus und fast genauso schnell ging es nach dem 27.11.2024, dem Tag des Waffenstillstands an der libanesischen Front, wieder in eine Art Friedensmodus.

Ich erlebte diesen Wechsel während eines zweimonatigen Deutschlandaufenthalts. Täglich im Kontakt mit den Mitarbeitern vor Ort verfolgte ich im November den stark zunehmenden Raketenbeschuss Nordisraels mit großer Sorge und Gebet um Bewahrung. Würde ich mich nach der Zeit im ruhigen Deutschland wieder problemlos in den Kriegsalltag einfinden können? Immer wieder stellte ich mir diese Frage.

Doch mit dem 27.11.2024 änderte sich zumindest äußerlich sehr viel. Schlagartig wurde der Raketenbeschuss eingestellt, Schulen und Kindergärten konnten den Normalbetrieb wieder anlaufen lassen, unsere Heimbewohner wieder aus dem Bunker auf die Normalstation umziehen und Ausflugsziele wieder angesteuert werden, die über ein Jahr in militärischem Sperrgebiet gelegen hatten. Statt der Wiedergewöhnung an Raketenalarm, musste ich mich an diese neue Realität gewöhnen, als ich Ende Dezember wieder zurückkam. Nicht weniger herausfordernd.

Vor allem auch, weil diese Ruhe, die wir alle genießen und Gott von Herzen für diese Verschnaufpause dankbar sind, nur oberflächlich ist.

Auch wenn wir es nicht mehr direkt spüren – Israel ist immer noch im Krieg – an mittlerweile sieben Fronten. Immer noch sterben Menschen bei der Verteidigung des Landes. Immer noch sind 98 Entführte nicht wieder zurück bei ihren Familien. Immer noch sind die Krankenhäuser und Reha-Einrichtungen voll mit Menschen, die mit den Folgen ihrer teils sehr schweren Verletzungen einen neuen Alltag lernen müssen. Immer noch ist ein Großteil der Evakuierten noch nicht zuhause, da die Häuser durch Kriegsschäden unbewohnbar sind und die Lage im direkten Grenzgebiet noch nicht sicher ist. Immer noch werden in jedem Haus Tote betrauert. Psychische und finanzielle Nöte kommen an die Oberfläche – Beziehungen zerbrechen.

Und immer wieder die Frage: »Was erwartet uns am Ende der 60 Tage Waffenstillstand?« – konkret Ende Januar.
»Tröstet mein Volk« – was bedeutet unser Auftrag in dieser Situation?

Wieder einmal sind wir gespannt, wie die nächsten Schritte aussehen und wen der Herr in unsere Häuser führt. Ob wir 2025 unser Haus wieder für Holocaustüberlebende öffnen dürfen?

Im Rückblick auf die letzten 464 Tage sind wir ermutigt, dass ER uns rechtzeitig die nächste Aufgabe vor die Füße legt und sich um alles kümmert, was nötig ist, dass wir sie erfüllen können.

Ermutigt sind wir auch durch die »Worte des Jahres 2024«, die wir als Mitarbeiter zum Jahresabschluss gesammelt haben: Shalom, Stille, Gnade, Hoffnung, gesegnet, es wird gut, Frieden, mit Gottes Hilfe – trotz: Bunker, Alarm, Durcheinander, Ungewissheit.

Vielen Dank, dass ihr mit euren Gebeten und Gaben uns als Team vor Ort unterstützt und die Arbeit möglich macht. Ihr seid unser Rückenwind!

Wir machen weiter – bitte bleibt auch ihr mit dabei!
Aktuelle Gebetsanliegen:

  • Dank für äußere (und innere) Ruhe
  • Dank für die Möglichkeit unbeschwerter Ausflüge
  • Dank für den Umzug der Heimbewohner aus dem Bunker auf die Normalstation
  • Dank für Regen
  • Dank für Mitarbeiter, die die ständigen Veränderungen mittragen
  • Bitte um Freilassung der Entführten
  • Bitte um Weisheit für alle Verantwortlichen in Politik und Militär, die weitreichende Entscheidungen zu treffen haben
  • Bitte um geöffnete Türen, wie unser Tröstungsauftrag aktuell realisiert werden soll
  • Bitte um Heilung und inneren Frieden der Verletzten und Traumatisierten
  • Bitte um Möglichkeit der Rückkehr der Evakuierten
  • Bitte um Heilung der durch die Auswirkungen des Kriegs zerbrochenen Beziehungen in Ehen und Familien
  • Bitte um Regen
  • Bitte um weitere Mitarbeiter für beide Häuser

von Judith Rentschler