Lehren aus der Geschichte?

»Was haben wir aus der Geschichte gelernt?« – Im Blick auf den Judenhass und die gesellschaftliche Stimmung gegen Israel zeige die Erfahrung der letzten Jahre: Wenig bis nichts. »Die Lernkurve in unserem Land ist in eine tiefe Krise geraten.« – Dies könne ihn aber als Geschichtslehrer nicht zufriedenstellen, so Gabriel Stängle beim Vortrag im Zionssaal am 9. November, dem Jahrestag der sogenannten Reichspogromnacht.

Der Vortrag gehörte zu einer ganzen Reihe verschiedener Erinnerungsveranstaltungen von September bis November in der Region Nordschwarzwald. 80 Jahre nach Kriegsende ist im Juni in der »Edition Papierblatt« das Buch »Der Kreis Calw in der Zeit des Nationalsozialismus« erschienen. Bei den rund 20 Veranstaltungen kamen viele der Autoren sowie die Herausgeber Thorsten Trautwein und Gabriel Stängle zu Wort. Organisiert wurde die Reihe vom »Evangelischen Bildungswerk nördlicher Schwarzwald« und dem Papierblatt-Projektteam.

Der Vortrag in Maisenbach war überschrieben mit: »Die Diskriminierung im Herbst 1938 und die Zukunft der Erinnerungsarbeit«. Wozu also erinnern wir an Gedenktagen und mit Büchern an die Vergangenheit?

Offen antisemitische und israelfeindliche Proteste direkt vor dem Bundeskanzleramt würden heute nahezu tatenlos hingenommen, die Dämonisierung Israels und die Relativierung des Terrors der Hamas – die laut Stängle einen ähnlichen Todeskult praktiziere wie vor über 80 Jahren die SS – sei in Deutschland zur Normalität geworden.

Neben dem tradierten Lernen gesellschaftlicher Werte wurde ihm im Lehramtstudium beigebracht, dass es »Lernen durch Erschütterung« gebe, in Zeiten der Umbrüche und Krisen. Dies könne man, so Stängle, in den letzten Jahren beobachten. Als dritte Art des Lernens nannten seine Professoren das »innovative Lernen«, das von der Vergangenheit geprägtes Handeln hervorrufe, um das Überleben der Menschheit zu sichern und die Würde des Menschen zu erhalten. »Darüber konnten mir meine Professoren nur vage Andeutungen machen«, resümierte Stängle.

An der Enstehungsgeschichte des Werkes Zedakah zeigte Gabriel Stängle jedoch praktische Perspektiven auf: Aus der Erkenntnis heraus, welche Schuld das deutsche Volk auf sich geladen hatte, begann der Gründer Friedrich Nothacker bereits im Jahr 1960 durch den praktischen Dienst an Holocaustüberlebenden in Israel, den Bibelvers »Tröstet, tröstet mein Volk« mit Leben zu füllen.

Die Anerkennung der geschichtlichen Fakten und auch der eigenen Schuld – so Gabriel Stängle – könne Heilung und Versöhnung hervorbringen. Dies habe er im Rahmen seiner Forschungsarbeiten immer wieder erlebt, bei Menschen und in Orten der Region. Diese Perspektive der Versöhnung für eine Bewahrung von Demokratie und Menschenrechten in der Gegenwart sei das, was die Erinnerungsarbeit im besten Fall hervorbringen sollte. »Wir brauchen Gedenktage, aber kein Gedächtnistheater«. Ein praktisches Handeln – nach seiner Beobachtung oft christlich motiviert – für eine bessere Zukunft ist das, was Gabriel Stängle sich wünscht.