Die Stimmung im Land

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»Ein li eretz acheret« (»Ich habe kein anderes Land«; hier ein YouTube-Video mit englischer Übersetzung) – Wie kaum ein anderes Lied beschreibt dieses in wenigen Sätzen ein Gefühl, das viele Israelis verbindet. Seit seiner Entstehung vor über 40 Jahren ist es eine inoffizielle Hymne, die in existenziell herausfordernden Zeiten erklingt. So auch heute: »Unser« Chor wird es beim Auftritt nächste Woche singen, im Radio ertönt es und der Titel ist auf Aufklebern und Kaffeepackungen allgegenwärtig.

Ein li eretz acheret – Motivation, Hoffnung, Frustration, Resignation? – Als Ehud Manor im Juni 1982 den Text schrieb, befand sich Israel im 1. Libanonkrieg – die Entstehungsgeschichte ließe sich aber auch direkt in der Gegenwart schreiben …

Zusammen mit seiner Frau Ofra sah er die Abendnachrichten. Sie erzählt: »Als wir Filmmaterial sahen, wie israelische Soldaten in Beirut einmarschierten, brach Ehud zusammen. Weinend sagte er, er könne das nicht ertragen und begann, Worte auf ein Stück Papier zu schrieben …«

Auch wenn dieses Ereignis als Entstehung des Liedes gelte, sei es, so Ofra weiter, vielmehr ein Lied für Ehuds jüngeren Bruder Jehuda. »Da der Vater früh gestorben war, hatte Ehud die Vaterrolle für seinen Bruder Jehuda übernommen. Ich erinnere mich gut an Jehuda. Er war ein großer, hübscher junger Mann. 1968, kurz nach der Geburt unserer Tochter Gali kam er ins Krankenhaus, um uns zu besuchen. Er erschien mit der Müdigkeit eines Soldaten, das Gewehr hing um seine Schulter – unbedingt wollte er seine erste Nichte sehen. Direkt danach wurde er eingezogen und wir sahen ihn nie wieder. Als 19-Jähriger fiel er bei den Kämpfen im Sinai. Nach Jehudas Tod wurde Ehud ein in sich gekehrter, trauernder Mann. Viele seiner Lieder entstanden aus starker Sehnsucht und Traurigkeit.« (Quelle: The song that made a country | Ori Golan | The Blogs (timesofisrael.com))

Bis in die Gegenwart werden Israelis mit dieser Realität konfrontiert: Wir haben kein anderes Land. Auch wenn ein Leben außerhalb Israels einfacher scheint – früher oder später begegnet Juden dort Antisemitismus, Diskriminierung und Verfolgung.

Ruti Broudo, israelische Sterneköchin und Tochter von Holocaustüberlebenden, hatte zu Kriegsbeginn (10/23) ernsthaft darüber nachgedacht, mit einer Gruppe Gleichgesinnter »irgendwo auf der Welt« ein »New Israel« zu gründen. Ihr Traum war, in einem ruhigen Land zu leben – ohne die ständigen Rechtfertigungskämpfe um die eigene Existenz. Mit der Zeit allerdings erkannte sie, dass genau diese Herausforderungen ein einendes Element haben und Israelis zu dem machen, was sie sind. Ein li eretz acheret. Sie hat ihren Traum auf ein neues Israel aufgegeben und kocht wieder in ihrem Restaurant. (Quelle: www.mako.co.il)

In Begegnungen mit unseren Nachbarn und Bekannten spüren und hören wir eben diese Ambivalenz. Viele würden am liebsten die Koffer packen und gehen – irgendwohin – in ein Land ohne Raketenalarm, ohne Militär, ohne horrende Lebensmittelkosten, ohne … Doch wo können sie als Juden frei ihren Glauben ausüben, die bunte Vielfalt an Kulturen leben? – Ein li eretz acheret.

Also bleiben sie, atmen tief durch und beginnen TROTZ ALLEM einen neuen Tag, in der Hoffnung, dass es irgendwann besser wird – und sind doch auch stolz darauf, Israelis zu sein.

Als Bibelleser sehen wir hinter allen Entwicklungen Gottes Wirken und sich erfüllende Prophetie – in dieser harten Realität.

Möge unser Hiersein die Menschen, denen wir begegnen, ermutigen, weiterzumachen und auf Gottes Zusage zu vertrauen, der schon während der Babylonischen Gefangenschaft versprochen hat: »Ich werde mich euer annehmen und mein gutes Wort, euch an diesen Ort (Israel) zurückzubringen, erfüllen. Denn ich kenne ja die Gedanken, die ich über euch denke, spricht der HERR, Gedanken des Friedens und nicht zum Unheil, um euch Zukunft und Hoffnung zu gewähren.« (aus Jeremia 29)

Judith Rentschler