Das Zuhause im Herzen

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Sie lesen hier ein Auschnitt aus einem Artikel der Redaktion Israel HaYom, geschrieben von Hila Timor Aschur. Erschienen ist dieser Bericht am 16.4.2020 auf der Website ihrer Redation. Hier der übersetzte Text:

Bereits seit einem Monat befindet sich das Altenpflegeheim Beth Elieser in Quarantäne, um seine 24 Bewohner – alles Holocaustüberlebende – zu schützen. • Zusammen mit ihnen befinden sich auch der Heimleiter und seine Familie in Quarantäne sowie die 35 deutschen Volontäre, die dort arbeiten. • Eine der Freiwilligen: „Ich hätte zu meiner Familie nach Deutschland zurückkehren können, aber hier werde ich gebraucht.“

Die Freiwilligen Judith und Friederike mit den Bewohnern Ita und Arie Schwarz im „Beth Elieser“ //
 „Wir können sie nicht im Stich lassen.“

Am 14. März schloss das Altenpflegeheim Beth Elieser in Ma’alot-Tarschicha seine Tore zur Welt. Die 24 Heimbewohner – alles Holocaustüberlebende – wurden gemeinsam mit dem Heimleiter Micha Bayer, seiner Familie, mehreren Mitarbeitern sowie 35 christlichen Freiwilligen aus Deutschland, die sich um die Bewohner kümmern, von der Außenwelt abgeschnitten. Keiner der Freiwilligen wollte nach Hause zurückkehren.

„Schon vor Purim begannen wir, das Haus teilweise zu schließen“, bedauert Bayer. „Nur noch Verwandten ersten Grades war der Zutritt erlaubt. Die Purimfeiern, bei denen sonst Kinder vom Kindergarten und den Schulen vor Ort kommen und mit uns feiern, haben wir abgesagt.

Nach Purim schlossen wir angesichts der Lage in Israel das Pflegeheim für die Außenwelt ganz. Innerhalb eines Tages strukturierten wir das Haus komplett um. Wir teilten uns in fünf Gruppen von Bewohnern und Mitarbeitern auf, die sich untereinander nicht vermischen. So können wir weiterhin funktionieren, falls etwas passiert und wir gezwungen sind, eine Gruppe in Quarantäne zu setzen, weil die anderen Mitarbeiter nicht betroffen sind.“

Die deutschen Freiwilligen von der Organisation ZEDAKAH kümmerten sich um alle Details, ob klein oder groß. „Wir mussten uns auch in technischer Hinsicht organisieren: Wir hatten kein WLAN im Pflegeheim, also bestellten wir das Zubehör bei einem Freund, der es auf Lager hatte, und dieser installierte es in letzter Minute, bevor wir ganz schlossen. Wir haben jeder Station einen Klapprechner und einen Volontär zugeteilt, der ‚Zoom‘ und ‚Skype‘ verwaltet, damit die Bewohner mit ihren Familien außerhalb kommunizieren können.“

Der Arzt kommt bei Bedarf weiterhin zur Visite, vollständig in Schutzkleidung. Ein Teil der Behandlungen wird aus der Entfernung fortgesetzt, z. B. sprechen die Sozialarbeiterin und die Diätassistentin über Zoom mit den Bewohnern. Andere fallen aus, z. B. Physiotherapie und Ergotherapie. Allerdings haben wir drei Krankenschwestern mit einer israelischen Lizenz, die vom externen Fachpersonal angeleitet werden, was die persönlichen Therapien betrifft. Gruppentherapien finden nicht statt.

Friederike Gehring

Mit Ausnahme einiger Angestellter wie Arzt und Sozialarbeiterin, sind alle anderen Mitarbeiter des Beth Elieser Freiwillige – einschließlich Micha Bayers und seiner Frau –, die jeweils 750 Schekel als Taschengeld erhalten. Die Organisation ZEDAKAH übernimmt aber Kost und Logis. „Es ist wie im Kibbuz vor der Privatisierung“, sagt Micha mit einem schüchternen Lächeln. „Du gibst, was du kannst, und bekommst, was du brauchst, plus etwas Taschengeld.“

Das wirtschaftliche Prinzip gilt auch für die Bewohner: Jeder zahlt, was er kann, und wenn er nicht bezahlen kann, finanziert das Haus seinen gesamten Aufenthalt. „Wir nehmen Holocaustüberlebende auf, die pflegebedürftig sind, und geben denen den Vorrang, die mittellos sind. Alle Ausgaben werden durch Spenden von Privatpersonen in Deutschland finanziert. Die einzige Unterstützung, die wir von den israelischen Behörden erhalten, ist die Befreiung von der Kommunalsteuer und die Erteilung von Visa an die Freiwilligen.“

Unter den 35 Freiwilligen aus Deutschland sind 30 Frauen und fünf Männer. „Sie kommen nach Israel, weil sie Israel wegen ihres Glaubens lieben und hierher kommen wollen, um zu helfen.“

Der Leiter Micha Bayer mit seiner Frau Karin und ihren Kindern. „Wir versuchen, den Kindern eine fröhliche Routine auf dem Gelände zu schaffen.“


Wie fühlen sich Ihre Kinder in dieser Zeit, wenn sie zusammen mit den Heimbewohnern eingeschlossen sind?
„Relativ in Ordnung. Auf unserem Gelände gibt es einen kleinen Garten, in den man gehen kann. Wir versuchen ihnen eine Routine mit Fernunterricht und etwas Freizeit und Spaß zu schaffen, damit sie den Druck abbauen können.“

Werden Ihre Kinder ins Militär gehen?
„Natürlich. In der Zeit vor meiner Rekrutierung gab es beim Militär für Freiwillige wie mich keine Aufgaben von Bedeutung. Aber meine Neffen und Nichten haben heute sehr bedeutende Aufgaben im Militär.“

Michas Eltern, Hans und Christl, wohnen ein paar Blocks vom Pflegeheim entfernt in einem Haus, das der Organisation ZEDAKAH gehört. „Ich kümmere mich um sie, schicke ihnen alles, was sie brauchen, nur damit sie nicht aus der Quarantäne herausmüssen. Meine Mutter ist 79 Jahre alt, mein Vater feierte vor einigen Tagen seinen 80. Geburtstag. Wir wollten ihm ursprünglich eine große Feier machen, aber sie wurde natürlich abgesagt. Stattdessen schickten wir ihm Grüße per Video.“

Als Israel aufgrund der Corona-Krise seine Grenzen zu schließen begann, kündigte die deutsche Bundesregierung den Versicherungsschutz für deutsche Freiwillige. Dies zwang viele von ihnen, schnell nach Deutschland zurückzukehren. Die Freiwilligen des Beth Elieser sind über die Organisation ZEDAKAH versichert, aber Bayer entschloss sich dennoch, ihnen vor der Schließung des Pflegeheims die Wahl zu lassen, zu gehen oder zu bleiben.

„Ich erklärte, dass sich die Situation im Land nur verschlechtern würde und dass sie, wenn sie später nach Deutschland zurückkehren wollten, das schon nicht mehr könnten. Ich sagte, dass jeder, der zurückkehren möchte, sich jetzt entscheiden muss, solange es noch Flüge nach Deutschland gibt. Zu meiner Freude entschieden sich alle fürs Bleiben, auch drei von ihnen, die eigentlich im nächsten Monat zu Aufnahmeprüfungen an der Universität fliegen müssten. Sie sagten zu mir: ‚Wenn wir in einem Monat nicht fliegen können, werden wir das Studium auf nächstes Jahr verschieben.‘“
Judith Warkentin (19) kam letzten August nach Israel. Sie stammt aus der Stadt Harsewinkel im Westen Deutschlands, ist blond, blauäugig, voller Freude und Liebe zu Israel und den Menschen, die sie pflegen möchte. „Ich liebe Israel, seit ich denken kann“, erklärt sie begeistert auf Englisch. „Zu Hause, wo ich aufgewachsen bin, war Israel immer ein zentrales Thema. Ich war ungefähr acht Mal hier mit meinen Eltern. Wir sind durch das ganze Land gereist. Einer meiner Cousins war vor fünf Jahren als Volontär in Israel im Rahmen der Organisation ZEDAKAH und ich habe ihn dafür sehr geschätzt. Ich bin hier wirklich glücklich.“

Kanntest du als Kind Juden in Deutschland?
„Ich kannte eine Frau mit jüdischem Hintergrund, aber sie war nicht wirklich religiös. In der Schule, im Englisch- und Geschichtsunterricht haben wir etwas über Juden gelernt. In Geschichte war das ein großes Thema. Wir lernten über Hitler und was er Juden angetan hat. Ich liebe die Juden, weil sie das auserwählte Volk sind.“

Warum hast du dich für das Beth Elieser entschieden
„Tatsächlich war es mir egal, wo ich zum Freiwilligendienst lande. Ich war neugierig und empfand es als Ehre, mit älteren Menschen zu arbeiten, die ein hartes Leben hatten. Ich las Geschichten von Holocaustüberlebenden, die mir das Herz brachen. Von denjenigen, die die Lager überlebt hatten. Und plötzlich sah ich mit eigenen Augen die Menschen, über die wir im Geschichtsunterricht gesprochen hatten. Ich habe hier viele Menschen getroffen, die ihre Gefühle manchmal nicht unter Kontrolle haben. Solche, die die ganze Zeit in der Vergangenheit leben und glauben, auch jetzt noch von Hitler ausgenutzt zu werden. Das passiert nicht immer, nur, wenn sie ein wenig verwirrt sind.
Es gibt hier eine Frau, die ich wirklich liebe. Ich spreche mit ihr in einem deutschen Dialekt, der dem Jiddischen ähnelt. Sie sagte mir, es sei schwer für sie, dass ich Hitlers Sprache spreche, und deshalb könne sie mich nicht lieben. Das hat mich sehr traurig gemacht, aber ich kann nichts machen; es ist die einzige Sprache, mit der ich mit ihr kommunizieren kann. Langsam lerne ich von den Bewohnern und den Freiwilligen, die schon länger hier sind, Wörter auf Jiddisch.
Es gibt Heimbewohner, die froh sind, wenn ich sie nach dem Holocaust frage. Eine Frau erzählte mir, wie sie im Krieg vor einem Nazi davongelaufen sei, der sie töten wollte. Es gibt Heimbewohner, mit denen ich bete. Ich liebe es, mit ihnen alte jüdische Lieder zu singen, die ich als Kind im Haus meiner Eltern gehört habe. ‚David, Melech Israel‘, Aschorer Schira‘, solche Lieder.“

Warum hast du dich entschieden, hier zu bleiben und nicht nach Hause zu gehen?

„Weil ich hier gebraucht werde. Warum nach Hause gehen und dort nichts tun? Meine Eltern hätten sich gefreut, wenn ich zurückgekommen wäre, aber sie sagten mir: ‚Das ist deine Entscheidung, überleg dir, wo du nützlicher sein kannst.‘ Ich musste nicht überlegen.“

Wie kommst du mit der Schließung zurecht?
„Zuerst dachte ich, ich könnte es nicht an einem Ort aushalten, ohne rausgehen zu können. Wir waren es gewohnt, mit den Bewohnern draußen unterwegs zu sein. Aber wenn ich arbeite, konzentriere ich mich aufs Helfen, und es stört mich nicht, dass ich nicht rausgehen kann. Für mich ist es nicht schwer.“

Was nimmst du vom Freiwilligendienst in Israel mit?

„Ich habe gelernt, die Menschen hier mehr als vorher zu lieben. Sie sind jetzt in meinem Herzen. Ich liebe Israel, die Leute und die Kultur wirklich. Ich kann es nicht erklären, ich fühle mich hier wie zu Hause.“

Gemeinsame Feier des Sederabends im Beth Elieser. „Dieses Jahr haben wir uns entschieden, in den Gruppen zu feiern, in die wir aufgeteilt sind.

Die 25-jährige Friederike Gehring ist in Sachsen geboren und aufgewachsen und nach dem Abitur nach Nürnberg gezogen. Im Juli letzten Jahres schloss sie ihr Pflegestudium an der Universität Nürnberg ab und kam zum ersten Mal in ihrem Leben nach Israel, zum Freiwilligendienst im Beth Elieser.

„Ich habe mich hier für einen Freiwilligendienst gemeldet, weil ich an Gott glaube“, lächelt sie. „Ich bin eine Krankenschwester, die sich um Menschen kümmert. Ich wollte schon immer nach Israel kommen, aber die Reise war teuer, und ich fand keine Zeit dafür. Irgendwann suchte ich nach einer christlichen Gemeinschaft von Freiwilligen, und dann hörte ich von der Organisation ZEDAKAH. Ich bekam die Chance, ein wundervolles Land und gute Menschen zu sehen. Mich interessiert die besondere Verbindung des Schicksals, die es hier gibt: Dies ist das auserwählte Volk, und wir müssen ihm dienen. Ich fühle so viel Liebe und Segen von den Menschen in Israel“.

Hat dich die Zeit im Pflegeheim Dinge über den Holocaust gelehrt, von denen du nichts wusstest?
„Der Holocaust ist für mich ein schwarzer Teil meiner nationalen Identität“, gibt sie zu. „Wir lernen schon in jungen Jahren in der Schule darüber. Ich lese immer noch darüber und versuche zu verstehen, wie Menschen solche Dinge tun konnten. Hier zu sein und die Überlebenden zu treffen – das ist wirklich unglaublich. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich um die Menschen kümmern könnte, die meine Nation verfolgt hat. Wir erfahren ihre Geschichten, ihre Geschichte, ihre Schwierigkeiten, wie das die Familien beeinflusst hat. Es ist für mich etwas ganz Besonderes und bewegt mich, dass die Familien uns vertrauen.“

Als Israel mit dem Ausbruch von Corona seine Grenzen schloss, war Friederike wütend. „Meine Freunde aus Deutschland hatten eine große Reise ins Land geplant und meine Mutter wollte zu Besuch kommen. Erst als das Chaos in Italien, Spanien und anderen Ländern begann, wurde mir klar, wie recht die Regierung hier hatte, als sie auf so harte Art durchgriff. Israel ist jetzt wahrscheinlich der sicherste Ort. Als ich mit Freunden in Deutschland sprach, habe ich ihnen Dinge beigebracht, die ich hier über das Verhalten während der Epidemie gelernt habe.“


Hast du mit dir gekämpft, ob du nach Deutschland zurückkehren sollst?
„Überhaupt nicht. Ich kann die Heimbewohner in dieser Situation nicht verlassen. Ich weiß, dass sie mich brauchen.“

Gibt es eine persönliche Überlebensgeschichte, die dich besonders berührt hat?
„Es gibt da einen Bewohner aus Rumänien, der ein Kind war während des Holocaust und immer noch Albträume hat und nachts aufwacht und zu den Deutschen schreit. Er erzählte mir, dass ihm und den anderen Kindern befohlen wurde, sich auf den Boden zu legen, und sie schlugen ihnen auf den Kopf. Er erinnert sich an die Menschenschlange in Auschwitz vor Mengele, der sagte, auf welche Seite er gehen solle. Er wird sehr emotional und kann das nicht überwinden.

Zuerst fragte er mich: ‚Bist du Deutsche?‘ Und ich sagte ja. Ich sagte ihm, ich könne nicht rechtfertigen, was im Holocaust geschehen ist; dass ich bedaure, was passiert ist und ich die Vergangenheit nicht ändern kann.

Es gibt eine Heimbewohnerin mit einer verschwommenen Nummer am Arm. Meine Freundinnen erzählten mir, dass sie sie angezündet hat, damit man sie nicht lesen kann. Sie hat vier Töchter und hat ihnen nie erzählt, was sie durchgemacht hat. Ich habe eine enge Beziehung zu ihnen. Für sie ist es schwer, weil sie nicht zulässt, dass sie ihr nahekommen. Sie sagten mir, sie habe ihre Gefühle immer vor ihnen versteckt.“

Wie verbringst du die Tage in der Quarantäne?

„Es fühlt sich an wie ein soziales Experiment“, lacht sie. „Wir wurden zufällig in Gruppen aufgeteilt, und wegen der Quarantänebestimmungen sind wir auch in der Freizeit in denselben Gruppen. Wir lernten einander kennen und lernten einander zu ermutigen. Es kam nur Gutes dabei heraus.“

Verstehen die Heimbewohner, was draußen los ist?
„Sie sehen uns mit Masken. Eine Bewohnerin, die in ihrer Kindheit im Holocaust an Typhus litt, verbindet die Maske mit der Krankheit, die sie hatte. Am schwersten fällt es ihnen, dass sie ihre Familien nicht sehen können. Ein Bewohner mit Demenz fragt wieder und wieder: ‚Wann werde ich meinen Sohn sehen?‘ Wir versuchen, alle paar Tage über Skype oder Zoom die Verbindung zu ihren Familien aufzunehmen.

„Vor Corona haben mir die Freiwilligen die Nachrichten aus der Zeitung vorgelesen“, erzählt Schoschana Peri (97), eine Bewohnerin des Pflegeheims, in einem Zoom-Anruf, der von einer deutschen Freiwilligen an ihrer Seite ausgeführt wird. „Seit Beginn der neuen Situation hat das Lesen von Zeitungen aufgehört. Ich bin sehr an den Nachrichten interessiert. Das Team erzählt mir, was auf der Welt los ist, und so bleibe ich im Bilde.“

Schoschana wurde in Deutschland, in Landsberg geboren. Als die Nazis an die Macht kamen, floh ihre Familie nach Israel. 1941 wurde sie in die britische Armee eingezogen und diente als Lageristin in Ägypten. „Unser Urlaub von der Armee war Skifahren im Libanon“, erinnert sie sich sehnsüchtig.

Was denken Sie über die ganze Corona-Geschichte?

„Was soll ich sagen? Unerträglich. Ich kann meine Kinder und Enkel nicht sehen. Ich spreche mit ihnen am Telefon. Ich kann sie nicht berühren. Aber es ist eine weltweite Katastrophe.“

Schoschanas Gehör ist schwach, und die Freiwillige, die neben ihr sitzt, Bärbel Ladner (45), von Beruf Krankenschwester, wiederholt die Fragen mit lauter Stimme. Ladner, die sich seit 20 Jahren als Freiwillige in Israel engagiert, spricht akzentfrei Hebräisch. Sie wurde in Königsfeld geboren, arbeitete Anfang der 2000er Jahre für ein Jahr als Freiwillige, kehrte dann nach Deutschland zurück und absolvierte ihre Krankenschwesternausbildung. Seitdem kehrt sie alle zwei Jahre für eine Erneuerung des Visums nach Deutschland zurück und kommt dann wieder ins Pflegeheim, eine Aufgabe, die sie mit unendlich viel Mitgefühl ausführt.

„Ich bin gekommen, um Holocaustüberlebenden zu helfen, weil ich glaube, dass das der Ort ist, an dem Gott mich haben will, bei dieser Arbeit“, sagt sie. „Am wichtigsten ist es mir, an der Seite der Heimbewohner zu sein, um ihnen zu helfen, ihren Alltag zu meistern. Sie zu lieben. Wir bekommen auch Liebe von ihnen. Es ist bewegend zu sehen, wie sie und ihre Angehörigen uns akzeptieren.“

Zwei Jahre lang wartete Naftali Inbar (71) aus Kfar Saba, bis im Beth Elieser ein Platz für seine Mutter Lina Braunstein (92) frei wurde. „Mutter wurde in Rumänien geboren, und ich weiß nicht viel über das, was sie im Zweiten Weltkrieg durchgemacht hat“, sagt er. „Ich weiß nur, dass ihr Vater im Ghetto starb. Als sie 14 Jahre alt war, kam sie von einem Konzentrationslager ins andere und musste Hunderte von Kilometern zu Fuß gehen. Einmal wurde sie mit ihrem anderthalbjährigen kleinen Bruder alleingelassen. Aus Angst, dass die Deutschen sein Weinen hören könnten, hielt sie ihm den Mund zu, bis er starb.

Mir persönlich hat sie das nicht erzählt. Nur meiner Tochter, die klinische Psychologin ist. Es gab eine Zeit, in der ich wütend war über ihr Schweigen, heute verstehe ich es und bin nicht mehr wütend. Sie ist eine starke Frau, die überlebt hat. Auch wir, die zweite Generation, haben keinen Honig geschleckt.“

Lina hatte vor zwei Jahren einen Schlaganfall. Nachdem sie das Krankenhaus verlassen hatte, suchte ihr Sohn nach dem besten Ort für sie. „Ich war im ganzen Land unterwegs und sah, dass es der beste Ort ist, aber die Einrichtung war voll. Ich musste sie woanders unterbringen und gleichzeitig blieb ich mit dem Personal in Kontakt. Vor drei Monaten riefen sie an, um mir mitzuteilen, dass ein Platz frei geworden war, und ich habe sie hierhergebracht.

Im Beth Elieser taten sie mehr für sie als ich dachte. Sie gaben ihr Tag und Nacht geistige und körperliche Herausforderungen. Jede Woche sah ich die Veränderung, die in ihr stattfand. Sie redete wieder fließend. Sie bringt Menschen zum Lachen, lächelt, scherzt. Mir fehlen die Worte.“

Letzte Woche erhielt Naftali ein Bild von seiner Mutter beim Sederabend im Pflegeheim und verbreitete es stolz in der Familien-WhatsApp-Gruppe. „Alle staunten, wie wunderschön sie gekleidet war, Ohrringe trug, gepflegt war. Vor allem sahen sie das Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie sahen, dass sie glücklich ist.

Hier bereiten sie ihr leckeres Essen zu, wie sie es von zu Hause gewohnt ist. Sie holten sie aus der Gleichgültigkeit heraus. Meine Tochter sagte zu mir: ‚Oma ist zu neuem Leben erwacht.‘ Es gibt einen Satz, den meine Mutter selbst gesagt hat, was mich am meisten beeindruckt hat: ‚Ich möchte etwas Schlechtes über sie sagen – und es gibt nichts.‘ Das Team ruft uns alle zwei oder drei Tage über Skype an. Wir warten darauf, dass sie uns kontaktieren, um nicht zu stören. Damit Sie verstehen, Mama unterbricht manchmal unser Gespräch, weil sie eine Lektion in der Werkstatt hat und sie diese nicht verpassen möchte. Ich verstehe, dass sie beschäftigt ist und das gut für sie ist. Also bin ich beruhigt.

Sie weiß alles, was gerade passiert, weil die Freiwilligen es ihr erzählen, und es gibt da auch einen Fernseher. Sie ist beunruhigt über die Zukunft, weiß nicht, wie viel Zeit sie noch hat. Einmal sagte sie mir verärgert: ‚Du bist nicht gekommen, mich zu besuchen.‘ Sie vergisst manchmal, dass ich da war. In unserem letzten Skype-Gespräch sagte sie zu mir: „Ich verstehe, dass du nicht kommen kannst, ich vermisse dich.“

„Der Sederabend war für uns schon immer ein großes Ereignis“, sagt Micha Bayer. „Jedes Jahr machen wir eine große Feier mit vielen Gästen. Dieses Jahr mussten wir in den Gruppen feiern, in die wir aufgeteilt sind. Wir haben den Familien Bilder geschickt, zum Andenken.“

Was ist für den Holocaustgedenktag geplant?

„Der Holocaustgedenktag wird wie gewohnt verlaufen. Es ist ein ruhiger Tag. Die Bewohner zünden Gedenkkerzen an, sie wollen an diesem Tag nichts Großes. Sie wollen ihre Ruhe haben und allein sein, wenn die Vergangenheit hochkommt und wieder wehtut.“

Überlegt man in der Organisation ZEDAKAH, was man an dem Tag tun wird, an dem es keine Holocaustüberlebenden mehr geben wird?
„Wir beschäftigen uns seit vielen Jahren mit dieser Frage. Vielleicht konzentrieren wir uns auf die zweite Generation, die ebenfalls ihre komplexe Geschichte hat. Vielleicht auf die Opfer von Feindseligkeiten. Wir glauben, dass die Organisation auch in Zukunft eine Aufgabe im Land haben wird. In Deutschland befasst sich die Organisation mit Holocaustgedenkprojekten in Schulen und wirkt Antisemitismus entgegen.“

Wie werden Sie den Tag nach Corona feiern?

„Wir hatten noch nicht viel Zeit zu planen. Ich träume nur davon, etwas für die Freiwilligen zu tun, die jetzt alles investieren, was sie haben. Wir werden auch mit den Bewohnern feiern, aber am meisten werden wir uns freuen, dass wir uns von der Angst verabschieden können. Es gibt einige, die sehr gut begreifen, dass sie zur Risikogruppe gehören, und sie haben Angst.

Zum Ende des Jahres ist die Grundsteinlegung für ein weiteres Gebäude geplant, in dem es zwei weitere Stationen mit 72 Betten geben soll. Wir haben Unterstützung von vielen Spendern erhalten. Ich hoffe nur, dass Corona das nicht verhindert.“